Mo Mokhtar

Bild Mo

 Nachfolgen ein Text des Aachener Kunsthistorikers Dr. phil. Josel Gülpers über den Künstler

"… und eben dies ist, was Mo Mokhtar in seinen Bildern auszudrücken sucht. Raum ist für ihn der Raum, in dem wir leben; und er zeigt uns den Raum, in welchem er lebt. Vor fünf Jahren aus Syrien nach Deutschland gekommen, erlebt er, der sich weder als Syrer, noch als Deutscher, sondern als Weltbürger versteht, dass die Räume, in welchen Menschen leben, gleich welcher Herkunft, trotz aller kulturellen, religiösen und materiellen Unterschiede, gar nicht so verschieden voneinander sind. Mo Mokhtar erläutert dies: Wenn sich an einem Tisch zwei Personen gegenübersitzen und auf eine Tasse, die auf dem Tisch steht, schauen, sehen sie denselben Gegenstand, jedoch aus unterschiedlichen Perspektiven: hinten – vorne, Licht – Schatten, Linien verändern sich, Räume tun sich auf. Und in seinen Bildern lässt der Künstler die unterschiedlichen Perspektiven im Raum und in der Zeit verschmelzen.
Seine Gemälde tragen keine Titel, er gibt keine Interpretationen zu den einzelnen Werken, Mo Mokhtar experimentiert nicht, das fertige Bild steht nicht zu Beginn vor seinen Augen. Er betont, dass seine Arbeiten seine jeweilige Stimmung widerspiegeln und dass er sich als Mensch durch diese Bilder viel von der Seele malen kann.
In einem spontanen Malvorgang werden diese persönlichen Stimmungen, Empfindungen und Affekte zum Bild, dessen Komposition durch langes Training formaler Prozesse dennoch in klassischem Sinne perfekt ist. Die Sinnlichkeit der expressiven Entstehung vermittelt und überträgt sich auf den Betrachter, der in der Farbe, den aufgebrachten Leinwandstücken und in den verschiedensten Malmaterialien die Spuren eines gelenkten Zufalls, aber auch seiner gestischen Setzungen – und damit der leitenden Empfindungen - erkennen kann. Malen ist für Mo Mokhtar nicht Nachbilden, sondern Gestalten. Jedes Bild hat sein Eigenleben und die Kraft innerer Überzeugung.
Die Farbverteilung, die Collageelemente und die malerischen Strukturen, die Mo Mokhtar in seinen Arbeiten integriert, enthalten in ihrer Behandlung eine Unzahl von bedingten Unvorhersehbarkeiten in der materiellen Oberfläche, die eine Eindeutigkeit der Strukturen und deren Benennbarkeit maßgeblich verhindert.
Man könnte dies auch als glückhafte Zufälligkeiten sehen und diese sind für den Künstler bald endgültige malerische Entscheidungen, bald Anregungspotenzial zu weiterem spontanen Malen. In beiden Fällen wird eine gewisse 'Systemlosigkeit' im Detail, wie sie den 'glückhaften Zufälligkeiten' innewohnt, weder erdacht, noch erfunden, noch geplant. Sie wird zu einem Prinzip der Malerei selbst.
Die Verknüpfung von Zufall und Bestimmung, von malerischer Struktur und inhaltlicher Kompositionsstruktur, bedingt eine Balance in der Gestaltung der Gemälde, die einem 'inneren Gleichgewicht' sehr nahe kommt.
Mir scheint, der Künstler habe sich - bewusst oder unbewusst – den Gedanken Immanuel Kants zu eigen gemacht: Seine Gemälde wirken erhaben. Kant unterscheidet zwischen dem Gefühl des Erhabenen und dem Gefühl der Größe. Das Erhabene bestehe aus Schmerz und Freude. Erhabene Gegenstände, etwa ein Gebirgszug, könnten von uns nicht mittels der Sinne gänzlich aufgenommen werden, da sie zu groß sind. So bliebe uns nur, die Idee eines Gebirgszuges in der Vernunft auszubilden. Ein Versuch, der uns Freude bereiten soll.
Mo Mokhtar ringt um Erkenntnis, er hinterfragt den tieferen Sinn des Lebens, er forscht, er nimmt wahr, und ohne den Anspruch, eine fertige Lösung zu präsentieren, legt er Gedankengänge dar und untersucht die Motive menschlichen Handelns und die daraus resultierenden Konsequenzen. Dabei ist er keineswegs ein Missionar, der mit hochgestrecktem Zeigefinger mahnt, er sieht sich selbst als Suchender. Diese Bilder scheinen die Frage zu stellen, die wir uns alle stellen: Wie kann, wie wird dies weitergehen."

Josef Gülpers, Dr. phil. Kunsthistoriker, Aachen